Die Nordstadt ist...

Quelle: Flyer "Hinweise zur Ausstellung Im Norden geht die Sonne auf – Zur Kulturgeschichte der Dortmunder Nordstadt bis 1933 (26. Mai bis 15. Juli 1990), Dortmund 1990"

…ein Stadtteil, bei dem die charakterisierenden Beschreibungen regelmäßig einer Gratwanderung zwischen Risiko- und Chancenbeschwörung gleichkommen. Die einen verlegen sich auf die bloße Benennung von Defiziten, den anderen geht es eher um die Hervorhebung von Stärken und Potenzialen. Beide Sichtweisen spiegeln einen Teil der Realitäten im Stadtteil wider. In jedem Fall ist festzuhalten, dass sich die mit dem industriellen Strukturwandel einhergehenden Ver­schiebungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemlagen und die damit neu ent­stehenden Herausforderungen hier beinahe wie unter einem „Brennglas“ ablesen lassen.

Geografisch ist der Stadtbezirk Innenstadt-Nord (kurz: die Nordstadt) einer von zwölf Stadtbezirken und drei Citybezirken Dortmunds. Traditionell ist die Nordstadt in die Statistischen Bezirke („Quartiere“) Hafen, Nordmarkt und Borsigplatz unterteilt. In den Blickpunkt gerückt ist die Unterteilung in neun Statistische Unterbezirke: Sie bilden die Bezugsgröße zur Erhebung der Daten zur sozialen Lage.

Quelle: Stadt Dortmund - Projektgruppe Nordstadt (Hrsg.; 1992): Das Nordstadt-Programm - Dokumentation eines Dortmunder Satdterneuerungsprojektes

Geschichtlich teilt die Nordstadt ihren „Entwicklungsbogen“ mit Regionen, die ebenfalls eine großindustrielle Vergangenheit haben. Als Arbeiterwohnviertel im Zuge der industriellen Revolution entstanden (Hoesch Westfalenhütte, Zeche Kaiserstuhl, Schlachthof, Bahnlinien, Kanalhafen), hat die Nordstadt große Zuzugswellen (Polen, Türken) aufgenommen und integriert. Sie ist der Einwanderungsstadtteil von Dortmund. Etwa jeder dritte Neu-Dortmunder findet hier als erstes eine Wohnung. Weit mehr als die Hälfte der Stadtteilbevölkerung verfügt heute über einen Migrationshintergrund. Die Diskussion über den Grad der Integration und die Bewertung der Integrationsleistungen ist Teil der Charakterisierung der Nordstadt geworden. Übergreifend ist aber die durch den Niedergang der Montanindustrien ausgelöste und verfestigte Armut, die die Nordstadt als größtem Stadtteil der „Sozialen Stadt“ in Nordrhein-Westfalen vor allem in der Wahrnehmung von außen zu einem „Problemviertel“ mit ungewissen Erholungsaussichten werden ließ. Wie der Blick in die Stadtteilgeschichte zeigt (siehe Zitatensammlung auf der Startseite), ist dieses verbreitete Negativ-Image allerdings nicht neu, sondern steht im engen Zusammenhang mit den Aufgaben, die dem Stadtteil und seinen Bewohner/innen im gesamtstädtischen funktionalen Gefüge aufgebürdet wurden.

Gronaustraße

Städtebaulich gilt die Nordstadt mit ihren 54.000 Einwohnern als das älteste und größte zusammenhängende Altbaugebiet des Ruhrgebiets. Es handelt sich um einen Stadtteil mit hoher Zentralität und guter verkehrlicher Anbindung, der – obschon im unmittelbaren Nahbereich der City angesiedelt – gleichwohl durch städtebaulich wirksame Zäsuren (z.B. Bahnlinien) und unwirtliche Unterführungen deutlich von ihr getrennt ist. Die hohe Verdichtung und die sie durchziehenden, industriellen Transportwege begrenzen die Entwicklungsmöglichkeiten der Nordstadt auf den Bestand. Sofern sozialer Aufstieg mit gestiegenen Wohn- und Bildungsansprüchen verknüpft ist, sehen zu viele Haushalte in der Nordstadt keine Perspektive dafür. Versuche, neue Entwicklungswege durch flächendeckende Abrisssanierung und integrative Bildungsangebote (Gesamtschulen) zu gehen, blieben ohne nachhaltige Wirkungen.

Demografisch ist die Nordstadt der jüngste Dortmunder Stadtbezirk und damit der „zukunftsträchtigste Stadtteil“ (Stadt Dortmund 2007, 90). Sie kann die gesamte Breite der schulischen Bildungsangebote vorweisen. Dabei findet sich unter ihnen jene Grundschule, die von einer Internationalen Jury im Jahre 2007 zur besten Schule Deutschlands gekürt wurde. Dennoch ist das Bildungsgefälle gegenüber den anderen Stadtteilen nach wie vor hoch. Zur Unterstützung der schulischen Integrationsarbeit wurden Verantwortungsgemeinschaften mit außerschulischen Partnern (v.a. Trägern der Jugendhilfeeinrichtungen im Stadtteil) aufgebaut und gemeinsame Projekte angegangen.

Institutionell ist die Nordstadt durch ein breites Spektrum von lokalen Akteuren und Kooperationsstrukturen gekennzeichnet. Dieses vielschichtige Netzwerk von engagierten Bewohnerinitiativen, Vereinen, kulturellen, sozial- und beschäftigungspolitischen Trägern, Unternehmensverbänden und sonstigen gesellschaftlichen Gruppen stellt für die künftige Entwicklung des Stadtteils einen wichtigen Aktivposten dar. Im Hinblick auf die Beteiligung der Bewohner hat sich die Nordstadt gar zu einer innovativen Experimentierbaustelle für zivilgesellschaftliches Engagement entwickelt. Wichtige Impulse zur Erweiterung der Mitgestaltungsmöglichkeiten der Bewohner (z.B. die Einführung von Aktionsfonds mit Bürgerjurys) konnten insbesondere im Rahmen des Quartiersmanagements gegeben werden. Dies wiegt aber nicht das politische Repräsentationsdefizit auf, das durch das fehlende Wahlrecht des überwiegenden Teils der Bevölkerung mit Migrationshintergrund de facto gegeben ist. Hinzu kommt die Tatsache, dass bei den Kommunalwahlen 2009 nur weniger als 30% der wahlberechtigten Bürger tatsächlich ihr Stimmrecht nutzten.

Perspektivisch bleibt die Nordstadt ein Arbeitsfeld für Integration,   Armutsbekämpfung, Potenzial- und Identitätssuche. In der Weiterentwicklung von integrierten Handlungsprogrammen und innovativen Beteiligungsverfahren hat die Nordstadt erkennbar Ausstrahlungskraft auf andere, vergleichbare Regionen. Erfahrungen aus anderen Metropolen zeigen, dass erfolgreiche Umstrukturierungs- und Erneuerungsprozesse vor allem über kulturelle und soziokulturelle Vielfalt sowie offene Kommunikationsprozesse führen. Die vorhandene, hohe Museums-, Atelier- und Kinodichte, Gastronomie und Feste sind erste Indikatoren des Veränderungsprozesses. Hinzu kommen die sich immer mehr entwickelnde kulturwirtschaftliche Szene und die nicht nur in Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen vitale ethnische Ökonomie.

Die Nordstadt ist ein Stadtteil, der gegen sein Image kämpft und ohne sein Image langweilig wäre.